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Containment and Mitigation – Phasen einer Epidemiekontrolle

Leitartikel

Containment and Mitigation – Phasen einer Epidemiekontrolle

Zuerst gebührt ein Dank für die bisherigegute Zusammenarbeit an viele Personen

Zuerst gebührt ein Dank für die bisherigegute Zusammenarbeit an viele Personen auf kantonaler und nationaler Ebene, auf allen Hierarchiestufen undinnerhalbder ambulanten und stationären Betriebe unseres Gesundheitswesens,die sich in dieser aussergewöhnlichenLage im Sinne der Sache, ohneunnötige administrative Formalitäten,engagiert haben.

Aber, nachdem Bund und Kantone beim Containment ein erstes Mal innerhalb von zwei bis drei Wochen gescheitert sind und sich danach zwingend und richtigerweise eine «Mitigation»-Phase anschloss, bekannt unter der Bezeichnung «Lockdown», steht seit Montag, dem 11. Mai 2020, ein zweiter Versuch einer Containment-Phase an. Während es unbenommen bleibt, ein erstes Mal Fehler zu machen, insbesondere, wenn man sich mit einer neuen Situation konfrontiert sieht und die praktische Erfahrung fehlt, sollten Fehler bei einem zweiten Durchgang vermieden werden: Folgende Voraussetzungen müssen für ein Containment erfüllt sein:

1. Ausreichendes Schutzmaterial

In der ersten Phase hat sich im In- und Ausland gezeigt, dass qualifiziertes Personal langfristig die knappste Ressource ist, insbesondere im Pflege- und im ärztlichen Bereich. Damit dieses Personal seine Aufgabe überhaupt wahrnehmen kann, ist durch Bund und Kantone eine ausreichende Versorgung mit adäquatem Schutzmaterial zu garantieren. Der I 3 Kanton Basel-Stadt beispielsweise hat dies für einen Zeithorizont für die nächsten sechs Monate garantiert. Zudem ist ausreichendes Schutzmaterial auch eine Voraussetzung, damit Ärztinnen und Ärzte überhaupt Covid-19-Abstriche für einen PCR-Test abnehmen können, ohne sich selbst zu gefährden. In der ersten Phase haben die Kantone sehr unterschiedlich abgeschnitten: Während es in einigen Kantonen zu gar keinen beruflich bedingten Infektionen in Arztpraxen kam, sollen in einem Kanton in jeder sechsten Arztpraxis solche zu verzeichnen gewesen sein. Jedenfalls darf es nicht sein, dass infolge Kostenabschiebungen zwischen Bund und Kantonen das Material dann nicht vorhanden ist und die im Gesundheitswesen an der Front Arbeitenden dadurch in fahrlässiger Weise gefährdet werden.

2. Ausreichende Testkapazität

Wenn ausreichend Schutzmaterial vorhanden ist, muss ausreichend Testmaterial und Testkapazität in Laboratorien oder bei POCT in Praxen zur Verfügung gestellt werden. Es müssen zwingend genug PCR-Tests zur Verfügung stehen, um bei entsprechenden Symptomen oder Exposition (Nähe zu bestätigten Covid- 19-Erkrankten) breit zu testen. Andernfalls gelingt kein Containment, sondern der nächste Blindflug ist vorprogrammiert. In Entwicklung sind weiterhin Antikörpertests. Bei diesen stellen sich noch viele Fragen: Wie spezifisch, wie sensitiv sind diese Tests? Entwickeln alle Personen Antikörper und, falls ja, innert welcher Zeit? Korrelieren diese Antikörper dann auch mit einer Immunität? Nur wenn letztere Frage geklärt ist, kann Antikörper-Positiven, vorausgesetzt der Test misst valide, zugesichert werden, dass sie vorläufig nicht mehr gefährdet sind. Ärztinnen und Ärzte sind bereit zu testen, falls Schutzmaterial und Tests vorhanden sind. Aus Sicht von Public Health ist es sinnvoll, die Testschwelle für die Bevölkerung tief zu halten. Dies setzt auch voraus, dass die Kosten des Tests übernommen werden. An sich wäre dies im Epidemiengesetz so vorgesehen. Leider ist es aktuell so, dass von der KUV-Direktion des BAG ein kompliziertes Dokument geschaffen wurde, das dazu führt, dass je nach Situation die Kosten durch die Person selbst, durch die Krankenkasse oder durch den Unfallversicherer (Berufskrankheit) übernommen werden müssen und nur noch in ausgewählten Situationen im Rahmen des Epidemiengesetzes.Diese unglückliche Regelung hat das Potential in sich, dass sie die Containment- Phase mit zum Scheitern bringen kann, wiederum auch nur aus dem Grund reinen Abschiebens von Kosten. Zudem generiert dieses Faktenblatt unnützen administrativen Zusatzaufwand und relevante Mehrkosten. Es scheint, dass in diesem Direktionsbereich des BAG jegliches Wissen darüber fehlt, was eine Epidemie, geschweige denn eine Pandemie, für die im Gesundheitswesen an der Front arbeitenden Berufsgruppen und für die Bevölkerung bedeutet. Neben dem zentralen Grundsatz, Patientenpfade zwischen nicht infizierten und potentiell infizierten zu trennen, ist dieses Faktenblatt ein guter Grund, weiterhin kantonal zentralisiert zu testen, um so unnötigen administrativen Aufwand gering zu halten. Auch lassen sich durch eine zentralisierte Abklärungsstation Ausfälle in der Grundversorgung, welche für die Regelversorgung und Entlastung der Spitäler entscheidend ist, minimieren.

3. Tracing

Erst wenn ausreichend Schutz- und Testmaterial sowie Testkapazität sichergestellt sind, lässt sich an ein Tracin denken. Das Tracing steht und fällt mit qualifiziertem Personal, welches in ausreichender Zahl ab Beginn zur Verfügung steht. Der Personalbestand muss sich in kürzester Zeit dem Epidemieverlauf anpassen können. Gelingt dies nicht, ist das Containment gescheitert, und die nächste Mitigationsphase, sprich «Lockdown », folgt. Als Erfahrungswert gelten 25 Tracer pro 100 000 Einwohner als Startvoraussetzung. Gewisse Kantone scheinen dies noch nicht realisiert zu haben. Das Tracing kann im Übrigen nicht an eine Tracing-App delegiert werden. Eine Tracing App kann bestenfalls unterstützen, kann Reaktionszeiten etwas verkürzen. Zudem sollte ein hausgemachtes Problem vermieden werden: Es braucht eine nationale App. Kantonale Apps müssten in jedem Fall untereinander kompatibel sein. Zudem wurde ich von ein paar digital affinen Jugendlichen noch auf Folgendes hingewiesen: Wie erkennt das System, wenn ich mich als Jux mal als Covid-positiv bezeichne? Es braucht somit einen Freischalt-Code, der auf einer gesicherten Diagnose beruht und der sicher ist. Oder melde ich mich auf meiner App als positiv, wenn ich wirtschaftlich schon schlecht dastehe und sich dann mindestens über zwei weitere Wochen meine ökonomische Situation zusätzlich verschlechtern wird? Die Versorgungssicherheit mit Medikamenten, Impfstoffen und Medizinalprodukten, worunter auch das Schutzmaterial fällt, wird entscheidenden Einfluss haben. Die kostbarste Ressource sind in jedem Fall die Angehörigen aller Gesundheits- und Medizinalberufe. Tragen wir deshalb Sorge zu uns und dadurch auch zu unseren Mitmenschen.