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Das offizielle Kommunikationsorgan der Ärztegesellschaft Baselland und der Medizinischen Gesellschaft Basel

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Covid-19: Eine Herausforderung für Hausärztinnen und Pflegeheime

Universität Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel (uniham-bb)

Covid-19: Eine Herausforderung für Hausärztinnen und Pflegeheime

In den Monaten März und April 2020 sind in Basel-Stadt 50 Menschen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstorben, von diesen lebten 30 (60%) in ei-nem Pflegeheim.

In den Monaten März und April 2020 sind in Basel-Stadt 50 Menschen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung ver-storben, von diesen lebten 30 (60%) in ei-nem Pflegeheim. Es handelt sich hierbei um gut 1% aller 2770 Pflegeheimbewoh-nerinnen und -bewohner in Basel-Stadt. Angesichts der Tatsache, dass in unserem Kanton seit Jahren monatlich 80–100 Pflegeheimbewohnerinnen versterben, klingt dies zunächst nicht alarmierend, und man könnte der viel geäusserten re-spektlosen Aussage zustimmen, dass «die angeordneten Massnahmen wegen dieser wenigen hochbetagten Menschen, die ohnehin sterben würden, völlig über-trieben» gewesen seien. Mittlerweile wissen wir jedoch, unter anderem auch aus den Erfahrungsberichten aus Schwe-den, dass gerade die in den Pflegeheimen ergriffenen Massnahmen und vor allem die zeitgerechten Vorbereitungsarbeiten entscheidend waren, um weit höhere Mortalitätsraten zu verhindern. Und wir wussten schon Mitte März, bevor die Pandemie in den Pflegeinstitutionen richtig angekommen war, dass Covid-19 die Bevölkerung, das Gesundheitssystem, insbesondere aber Pflegeheime und die in diesen Heimen tätigen Hausärztinnen vor bislang unbekannte Herausforderun-gen stellen würde.

Covid-19 – Lernprozess für Bevölkerung und Gesundheitsfachpersonen

  1. Menschen erkranken und versterben an einer in alltäglichen Kontakten von Mensch zu Mensch übertragenen In-fektionserkrankung mit einer hohen Kontagiosität – etwas, das höchstens noch aus den Geschichtsbüchern über die Spanische Grippe bekannt war. 

  2. Die Infektionskrankheit wird in einem symptomlosen Stadium übertragen, im Pflegeheim von Bewohnerinnen zu Bewohnerinnen, von Pflegenden zu Be-wohnerinnen und von Bewohnerinnen zu Pflegenden.

  3. Schon früh wusste die Bevölkerung aus Medienberichten, dass die Virus-pneumonie und deren Folgen zu Atemnot führen können, und fürchtete daher, dass der Krankheitsverlauf so-wie das mögliche Sterben qualvoll sein könnten.
  4. Die Erkrankung Covid-19 bringt es mit sich, dass gerade bei schweren Ver-läufen Entscheidungen gefällt werden müssen, Entscheidungen für oder ge-gen eine Spitaleinweisung oder eine Behandlung auf einer Intensivstation. Es handelt sich um Entscheidungen, die Wissen über die Erkrankung, deren Verlauf und Prognose voraussetzen, die daher oftmals nicht im Vorfeld  besprochen wurden und selten einer Patientenverfügung entnommen  werden konnten. Diese antizipierten Entscheidungen mussten Mitte März unter Zeitdruck gefällt werden, in  Pflegeheimen bei urteilsunfähigen Menschen gelegentlich auch stellver-tretend durch eine Vertrauensperson. 5.   Man wusste schon zu Beginn der Pan-demie aus den Erfahrungen in Italien, dass Menschen mit einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung vor-aussichtlich allein sterben würden, ohne dass ihre nächsten Angehörigen ihre Hand halten oder mit vertrauter Stimme zu ihnen sprechen würden. 

Informationen

Im Wissen um diese auf Pflegeheime und Hausärztinnen zukommenden Her-ausforderungen haben es sich die Unter-zeichnenden Mitte März zur Aufgabe  gemacht, Verantwortliche von Pflege-heimen sowie die in den Heimen tätigen Hausärztinnen zu informieren und auf die  bevorstehenden Aufgaben vorzu-bereiten:

  1. Hausärztinnen und Heimleitungen wurden gebeten, möglichst alle Be-wohnerinnen über die Erkrankung, de-ren mögliche Verläufe und Prognose zu informieren und diese zu unterstüt-zen, ihre Behandlungswünsche im Fall eines schweren Verlaufs einer Covid- 19- Erkrankung vorausschauend zu do-kumentieren. Zu diesem Zweck wurde der Information eine sogenannte Ärzt-liche Notfallanordnung beigelegt, auf der die wichtigsten Entscheidungen anzukreuzen waren. Hausärztinnen wurde dringend empfohlen, diese Not-fallanordnung mit den jeweiligen Be-wohnerinnen oder deren gesetzlichen Vertreterinnen telefonisch oder im persönlichen Austausch zu besprechen und auch zu unterzeichnen. Als Unter-stützung für die Gesprächsführung wurde ein ganz aktueller Artikel von  P. Loeb aus der Serie Skill-Training in Primary and Hospital Care beigelegt.1

  2. Mit Unterstützung von R. Bingisser, Chefarzt des Notfallzentrums am Uni-versitätsspital Basel, wurde eine ein-fache Triage-Empfehlung verfasst mit den wichtigsten Botschaften: Wer macht den Abstrich? Wer macht die Abklärung, ob Betreuung im Pflege-heim möglich ist? Wer macht die Ab-klärung, ob Behandlung im Spital oder auf einer Intensivstation sinnvoll ist? An welchen Orten wird eine stationäre Behandlung angeboten mit und ohne Möglichkeit einer Intensivbehand-lung?
     
  3. S. Eckstein und S. Walter vom Palliativ-dienst am Universitätsspital Basel for-mulierten praktische Empfehlungen, wie Bewohnerinnen von Heimen spe-ziell bei einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankug palliativmedizi-nisch behandelt werden können. Dabei wurde ganz speziell auf die Ressourcen und Möglichkeiten von Pflegeheimen geachtet.
  4. Freundlicherweise wurde von Spitex Basel-Stadt ein Merkblatt zur Verfü-gung gestellt, dem Hausärztinnen, aber auch Pflegefachpersonen in den Institutionen entnehmen können, wie sie die entsprechende Schutzkleidung, Maske und Brille an- und wieder aus-ziehen sollen, um eine Keimübertra-gung zu vermeiden.

Alle diese Informationen wurden den in Basel-Stadt tätigen Hausärztinnen und Pflegeinstitutionen zugestellt. Die über-wiegende Mehrheit der Pflegeheim-bewohnerinnen in Basel-Stadt hat sich im Vorfeld gegen eine Spitaleinweisung und insbesondere gegen eine Behand-lung auf einer Intensivstation entschie-den und wurde auch bei einem schweren Verlauf in den vergangenen zwei Mona-ten in ihrem vertrauten Umfeld betreut. Vereinzelt mussten insbesondere Men-schen mit Demenz mangels Möglichkei-ten, sie zu isolieren resp. eine Keimüber-tragung auf andere Bewohnerinnen zu verhindern, in ein Geriatriespital überwiesen werden. Aus ethischer Perspek-tive sollten derartige Einweisungen nach Möglichkeit nicht gegen den Willen der Bewohnerinnen erfolgen, obschon es rechtlich gemäss Art. 383 ZGB bei urteils-unfähigen Menschen zulässig ist, wenn damit eine Gefahr für das Leben oder die körperliche Integrität von Dritten abge-wendet werden kann.

Nach dem Lockdown werden Herausfor-derungen nicht weniger anspruchsvoll 

Nun hoffen wir, dass ganz bald alle Pfle-geheime frei von Covid-19-Patienten sein werden. Gleichwohl werden die Heraus-forderungen für die Zeit nach dem Lock-down bis zur Einführung eines wirksa-men Impfstoffs aber nicht geringer sein. 

  1. Es können jederzeit erneut Bewohne-rinnen durch Angestellte, andere Be-wohnerinnen oder Besucherinnen an-gesteckt werden. Mittlerweile wissen wir, dass gerade ältere Menschen oft mehrere Tage nach einem positiven Testresultat symptomlos sein und an-dere Menschen infizieren können.2,3 Wenn man zudem bedenkt, dass Men-schen mit Demenz oftmals ihre Be-schwerden nicht schildern können, werden Covid-19-Ausbrüche in Heimen nicht zu vermeiden sein. Solange keine verbreitete Immunität in Pflegeinsti-tutionen erreicht ist, wird man sich überlegen müssen, ob nicht mit einer regelmässigen Testung aller Bewohne-rinnen die Infektionskette in Heimen unterbrochen werden kann. Aktuell sind in der Schweiz systematische Tes-tungen in Langzeitpflegeinstitutionen bei entsprechender Indikation nach Einwilligung durch den kantonsärzt-lichen Dienst grundsätzlich möglich.  2.   Die Erfahrungen in den acht Wochen des Lockdowns haben gezeigt, dass  ältere Menschen durch die behördlich angeordneten Massnahmen beson-ders betroffen waren und noch immer sind. Sicher konnte mittels der ergriffe-nen Massnahmen eine höhere Mortali-tätsrate verhindert werden, auf der an-deren Seite stellten das generelle Ausgehverbot und die Einschränkun-gen des Kontakts mit nahestehenden Personen eine massive Einschränkung der Grundrechte dar und führten zu einer Beeinträchtigung des Wohlbefin-dens von unzähligen älteren Men-schen und insbesondere Heimbewoh-nerinnen. In Pflegeheimen engagierte Seelsorgende haben diese Not früh er-kannt und in Form von Krankenbe-suchen sowie Gottesdiensten auf den einzelnen Abteilungen ganz entschei-dende Unterstützungsarbeit geleistet. Die im Zuge der Lockerungen vom 29.4.2020 entwickelten Besuchsrege-lungen sind teilweise sehr kreativ und erlauben gewisse Kontakte, allerdings wird man sich fragen müssen, ob diese Besuchsregelungen z.B. bei Menschen mit Demenz den durch die Einsamkeit entstandenen Leidensdruck zu lindern vermögen. Zu Recht wird von der Na-tionalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin gefordert, dass einer-seits das Personal in Pflegeinstitutio-nen gestützt und geschützt werden muss, dass andererseits aber Angehö-rige in die Betreuung und Pflege von Personen in Langzeitpflegeinstitutio-nen miteinbezogen werden müssen, dass Bewohnerinnen und ihre gesetz-lichen Vertretungspersonen trans-parent über die angeordneten Mass-nahmen und ihre Rechte in diesem Zusammenhang informiert werden müssen und dass alle Massnahmen re-gelmässig auf ihre Verhältnismässig-keit zu evaluieren und anzupassen sind.4 
  2. Im Gegensatz zu Berichten aus Pflege-institutionen in Italien und in den USA hat das Personal in den Pflegeheimen in Basel-Stadta die erste Covid-19-Welle mit bewundernswertem Engagement gemeistert. Die Heime waren mehr-heitlich gut vorbreitet, und es stand ausreichend Schutzmaterial zur Ver-fügung. Wenn architektonisch die Vor-aussetzungen gegeben waren, konnte eine entsprechende Kohortierung (Be-wohnerinnen mit sicherem Covid-19-Nachweis, Bewohnerinnen mit Ver-dacht und sicher nicht betroffene Bewohnerinnen) vorgenommen wer-den. Dabei darf nicht vergessen wer-den, dass auch in Basel 2,5% der in  Pflegeheimen tätigen Gesundheits-fachpersonen infiziert, vorübergehend daheim isoliert oder gar in Spitalbe-treuung waren. Es besteht zumindest ein gewisses Risiko, dass auch in Anbe-tracht der beträchtlichen Mortalität von Gesundheitsfachpersonen in Ita-lien und Grossbritannien die Bereit-schaft zur Betreuung von betroffenen Bewohnerinnen in Pflegeinstitutionen abnehmen könnte. Hier wird es Auf-gabe von Arbeitgeberinnen in Heimen und Hausärztinnen sein, Vertrauen zu schaffen, für einen optimalen Schutz besorgt zu sein und regelmässige Test-möglichkeiten anzubieten. 
  3. Iona Heath, Hausärztin im Ruhestand und langjährige Präsidentin des Royal College of General Practitioners, weist darauf hin, wie belastend es für Ange-hörige ist, wenn sie ihnen naheste-hende Menschen am Lebensende nicht begleiten und sich nicht von ihnen ver-abschieden können.5 Diese Begleitung am Lebensende durch Angehörige wurde glücklicherweise in der Mehr-heit der Pflegeinstitutionen zuge-lassen. Auch in den kommenden  Monaten sollen Angehörige in den  individuellen Prozess der Abschieds-kultur mit eingebunden werden.

Wichtige Termine uniham-bb 2020: Save the date!
hausarztupdate basel, Donnerstag, 5. November 2020 Hotel Odelya,  Missionsstrasse 21, 4055 Basel