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Das offizielle Kommunikationsorgan der Ärztegesellschaft Baselland und der Medizinischen Gesellschaft Basel

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Vorwertslaufen - vorwertsdenken

Corona 1

Vorwertslaufen - vorwertsdenken

Bunt und farbenfroh schauen mich meine Laufschuhe an, sie fordern mich geradezu auf, mich zu bewegen:

Bunt und farbenfroh schauen mich meine Laufschuhe an, sie fordern mich geradezu auf, mich zu bewegen: «Anima sana in corpore sano» … so (oder zumindest sehr ähnlich) der Spruch, den mir ein ehemaliger Professor im Medizinstudium mit auf den Weg gab und den ich als Abkürzung auf meinen Laufschuhen lese. Ich schätze mich sehr glücklich, ist es bei uns in der Schweiz nicht zu einem totalen Lockdown wie beispielsweise in Italien oder Spanien gekommen, wo die Menschen seit Wochen ihr Haus nicht verlassen dürfen – denn aus dem Laufen, der Bewegung schöpfe ich Kraft. Laufen hat für mich viel Meditatives, und besonders in schwierigen Zeiten finde ich dabei erfahrungsgemäss die Motivation und die Ausgeglichenheit, um dem Sturm des Alltags zu widerstehen. 

Nur einmal ist mir bisher die Dimension einer aufkommenden Tragödie dermassen in die Knochen gefahren wie Ende Januar 2020 die Erkenntnis, dass «Corona kommt»: Das war vor etwas mehr als 20 Jahren, als bei meiner damals 67-jährigen Mutter die Diagnose ALS gestellt wurde. Und wie damals war meine erste Reaktion enorme Trauer. Trauer über den nahenden und unausweichlichen Verlust dessen, was bisher unsere Normalität war. Trauer über die Ohnmacht, mit der wir als Gesellschaft der Wucht dieser Krise gegenüberstehen würden – so wie das z.B. in Italien dann auch eingetreten ist. Dank besonnenem Handeln, insbesondere auf Bundesebene, aber auch kantonal, z.B. durch die Ärztegesellschaften, ist zumindest die gesundheitliche Katastrophe in einer vergleichsweise übersichtlichen Dimension geblieben. 

Und auch dieses Mal haben sich beim Laufen meine anfänglich chaotischen, angstvollen und traurigen Gedanken wieder strukturiert, und ich konnte mich an ein Zitat von Max Frisch erinnern, in dem er sagt: «Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.» Wie wahr! Die anfängliche Mutlosigkeit gegenüber den notwendigen Veränderungen wie Unterbindung von persönlichen Kontakten, Masken- bzw. Schutzmaterial tragen, Isolation wandelte sich, und gerade als Ärztin war es mir möglich, mich kreativ für die Patienten einzusetzen, ihnen z.B. über Telefon oder Mail alternative Sprechstundenmöglichkeit zur Unterstützung zu bieten. Im privaten Bereich verlangsamte sich mein Alltag, und je unabgelenkter und langsamer er wurde, desto besser gelang es mir, mich aktiv dem Positiven in meinem Leben zuzuwenden. Und ich filtrierte und beschränkte die News-Flut, las nur die essenziellen Mails in meinem HINAccount, z.B. die der Ärztegesellschaft Baselland, liess Twitter und Push-Nachrichten auf der Seite und beobachtete an mir selbst eine Besinnung auf Wesentliches. Und etwas vom Wesentlichen ist die Achtsamkeit gegenüber sich selbst! Die Gesundheit ist ein kostbares Gut – und ohne mein Leben umzukrempeln, versuche ich darum wieder vermehrt, mich bewusster zu bewegen, zu ernähren und überhaupt nett mit mir zu sein. Wir müssen vorwärts denken und sind als Menschen dazu auch in der Lage! Wir sind aufgefordert, die notwendigen Veränderungen und Einschränkungen um uns herum zu bejahen und uns den neuen Gegebenheiten anzupassen. Das Maskentragen, besonders in der Praxis, ist zumindest als Mediziner ja geradezu Peanuts gegenüber anderen notwendigen Einschränkungen. Persönlich am meisten vermisse ich den gewohnten Sozialkontakt und die damit verbundene Geselligkeit, und diese Konstellation wird sich meiner Einschätzung nach in absehbarer Zeit leider auch nicht normalisieren. Hier bleibt bei mir eine Portion Trauer bestehen, aber auch die werde ich versuchen, beim Laufen setzen zu lassen. Der Gang in die Natur ist dabei als solcher schon Quelle der Inspiration für mich. Der Rhythmus beim Laufen, ohne Musik in den Ohren, nur auf die Geräusche im Wald und auf den eigenen Schritt horchend, lässt meine Gedanken fliessen, und der Blick geradeaus richtet sich dabei auf den Horizont, auf das Zukünftige. Loslassen, was ich nicht ändern kann. Anpacken, was ich ändern kann – das wird meiner Seele mit Sicherheit gut tun.